Niederländische Innenpolitik?

Auf den Brief, den mobo im Frühjahr an den Botschafter der Niederlande in Deutschland gesandt hat, kam nie eine Antwort. Das zeigt einerseits eine gewisse (un)diplomatische Arroganz – andererseits haben wir das Pferd damals eventuell von der falschen Seite aufgezäumt. Die Möglichkeit, sich an unser eigenes, deutsches, Auswärtiges Amt zu wenden, damit dieses dann seinerseits Kontakt zur niederländischen Regierung aufnimmt, erfordert eine Beweisführung, dass das Einwohnerkriterium eben weitaus mehr ist als niederländische Innenpolitik. Es geht auch nicht darum, dass Deutsche in den Niederlanden illegale Substanzen geduldet erwerben dürfen – es geht um die Diskriminierung von EU-Bürgern in einem Mitgliedsstaat der EU und ich erwarte von meinem Auswärtigen Amt, dass es mich davor schützt – besonders in einem geeinten Europa. Das ist der Entwurf eines Briefes an das Auswärtige Amt in Berlin. Ich möchte den Entwurf und die Idee selbst zunächst hier diskutieren.

Gut bewacht - das Auswärtige Amt in Berlin - Foto: pterjan CC-Lizenz
Gut bewacht – das Auswärtige Amt in Berlin – Foto: pterjan CC-Lizenz

Mit dem sogenannten Ingezetenen-Criterium (Einwohnerkriterium), das in der Zukunft in den gesamten Niederlanden gelten soll, wird der Zutritt (wohlgemerkt nicht nur der Kauf von Cannabisprodukten) zu den niederländischen Coffeeshops (Geschäfte in denen geduldet Cannabisprodukte verkauft werden, die aber auch einen normalen Gastronomiecharakter haben und dementsprechend auch andere, legale Produkte anbieten) nur noch Einwohnern der Niederlande gewährt. Das Einwohnerkriterium gilt bisher in den Provinzen Zeeland und Nord-Brabant komplett für alle Gemeinden (es ist noch eine kommunale Verordnung bzw. die Kommunen können sich entscheiden, ob sie der Vorgabe aus Den Haag folgen oder nicht) in Limburg gilt es für den größten Teil der dortigen Kommunen und in den anderen Provinzen der Niederlande wird diese Regelung von nur wenigen Orten durchgesetzt. Die Regierung Rutte hatte vor den Neuwahlen im vergangenen Herbst beschlossen, dass diese Regelung (in ihrer Urform – der sog. Wietpas, der auch Niederländer betroffen hat) ab dem 01.01.2013 für die gesamten Niederlande gelten solle. Das ist noch immer Ziel der VVD – einzig die neue Koalition mit der PvdA brachte eine minimale Entschärfung für Niederländer – auch nach Urteilen von diversen Gerichten in den Niederlanden, die den Wietpas für unzulässig erklärten.

Da in den Niederlanden hauptsächlich Niederländer wohnen, ist diese Verordnung de facto eine Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft. Das hat auch der EuGH in einem Urteil (EuGH, 16.12.2010 – C-137/09) von 2010 so festgestellt, aber das Ziel der Verordnung (die Zurückdrängung des sog. Drogentourismus) als höherwertig eingeordnet als die Diskriminierung von EU-Bürgern in einem EU-Mitgliedsstaat. Ich möchte hier keine Richterschelte betreiben, wundere mich aber doch über diese Gewichtung, die für mich keinesfalls verhältnismäßig oder nachvollziehbar ist. Die klar als solche festgestellte Diskriminierung von EU-Bürgern durch einen EU-Mitgliedstaat wird also geringer gewichtet als das, potentiell erfolgreiche, Zurückdrängen des sog. Drogentourismus.

Da der EuGH die Gesamtheit der EU-Bürger nicht vor der Diskriminierung durch die, damals noch teils rechtspopulistische (PVV), Regierung der Niederlande geschützt hat, wende ich mich nun als deutscher Staatsbürger und als Bürger der Europäischen Union an das Auswärtige Amt mit der Bitte um Schutz vor Diskriminierung in einem EU-Mitgliedsstaat.

Cannabis ist seit dem UN-Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von 1961 in den meisten Ländern der Welt als illegale Droge eingestuft – wird aber in den Niederlanden seit 1976 geduldet in Ladenlokalen mit Café-Charakter verkauft. Die Coffeeshops sind offene Geschäfte, die normal in Einkaufszonen gelegen sind. Dort kann man auch einfach einkehren, um einen Kaffee zu trinken oder eine Kleinigkeit zu essen – manche Coffeeshops veranstalten auch Konzerte und andere Veranstaltungen und sind Teil der kulturellen Szene der jeweiligen Städte. Sie haben keinesfalls den Charakter von Drogenabgabestellen – wie etwa Heroin-Abgabestellen in Deutschland. Eine Verweigerung des Zugangs (wohlgemerkt nicht die Verweigerung des Kaufs von Cannabis) stellt also ganz klar eine Diskriminierung dar. Das hat der EuGH nicht begriffen – sie schließt von der Teilhabe an einem Teil des gesellschaftlichen Lebens in den Niederlanden aus. Im Gefühl der Bevölkerungsgruppe für die ich hier spreche ist es, als wenn Ausländer in München plötzlich vom Oktoberfest ausgeschlossen würden – so wird es immer wieder geäußert und empfunden.

Als überzeugter Europäer ist dieser Zustand für mich so keinesfalls hinnehmbar und ich ersuche das Auswärtige Amt meine Interessen als deutscher Staatsbürger im Ausland bzw. EU-Inland für mich wahrzunehmen und sicherzustellen, dass ich als EU-Bürger innerhalb der EU nicht diskriminiert werde. Der Betreiber des Internet-Blogs „Kein Wietpas!“, das sich großer Zugriffszahlen erfreut, hat im vergangenen Herbst einen Brief an den Botschafter des Königreiches der Niederlande gesandt und diese Missstände beklagt. Darauf erhielt er keine Antwort. Die Leser (wir sprechen hier über Zugriffszahlen von knapp 1,3 Millionen) sind sehr verärgert über die Politik unseres Nachbarn und langsam werden aggressive Stimmen laut – ich sehe das gute Verhältnis zwischen den Niederlanden und eines Teils der deutschen Bevölkerung als überaus gefährdet an. Das kann nicht im Sinne unserer Bestrebungen für ein geeintes Europa unter Freunden sein, was zumindest hier im „Kerneuropa“ jahrzehntelang sehr gut funktioniert hat. Nachdem ich die bisherige Entwicklung in unserem Nachbarland aufmerksam verfolgt und auch journalistisch begleitet habe, sehe ich nun einzig die Möglichkeit, mich mit der Bitte um Hilfe an die Bundesregierung zu wenden, da es sich hier keinesfalls nur um niederländische Innenpolitik handelt – im Gegenteil. Betraf der sog. Wietpas, der mittlerweile als Unrecht erkannt und abgeschafft wurde, auch die niederländische Bevölkerung, so wird die Diskriminierung von Ausländern mit dem neuen Einwohnerkriterium noch verschärft. Nur Ausländer die in den Niederlanden wohnen, brauchen zum Betreten der Coffeeshops einen Auszug aus dem Einwohnermelderegister (GBA-Uitreksel) – dieser muss kostenpflichtig alle 3 Monate erneuert werden, und zwar mit Angabe des Grundes für die Beantragung. Niederländer brauchen dieses GBA-Uitreksel nicht. Das bedeutet, dass auch ausländische Einwohner der Niederlande benachteiligt werden. Deutlich wurde die neue, diskriminierende und europafeindliche Politik auch bei den jüngsten Razzien in Maastrichter Coffeeshops, bei denen nur Ausländer körperlich durchsucht wurden – Niederländer jedoch nicht.

All das passt zum Rechtsruck, den die niederländische politische Landschaft in den letzten Jahren erleben musste – es passt aber keinesfalls zu einem geeinten Europa. Ich ersuche deshalb die Bundesregierung, vertreten durch das Auswärtige Amt, diese Missstände auf bilateraler Ebene anzusprechen und meine Interessen als deutscher Staatsbürger im Ausland wahrzunehmen und mich vor der Diskriminierung in einem EU-Staat durch dessen Regierung zu schützen.

Überdeutlich wird die Situation am Beispiel der Stadt Maastricht, Geburtsort unserer gemeinsamen Währung und bis zum 01.05.2012 ein beschauliches Städtchen. Diese Stadt wurde vom niederländischen Justiz- und Innenminister Ivo Opstelten und seinem Parteifreund und Bürgermeister von Maastricht Onno Hoes als Experimentierfeld für die neue Drogenpolitik der Niederlande gewählt. Eine schlechtere Wahl als diese Stadt, die europäischer nicht sein könnte und auch 2018 als Kulturhaupstadt Europas kandidiert, hätte es für diese diskriminierende und ausländerfeindliche Politik nicht geben können.Belgien liegt gleich an der Stadtgrenze, Deutschland ist 25 Kilometer entfernt.

In dieser Situation gebärdete sich Bürgermeister Hoes schon mehrfach als Elefant im Porzellanladen. So äußerte er schon 2012 in einer TV-Sendung im Vorfeld der Wahlen: „Nach Amsterdam kommen all die Luxustouristen, und zu uns kommt der Abschaum zum Kaufen.“ Nicht nur die Gastronomen, Hoteliers und Ladeninhaber in Maastricht sehen das völlig anders – alle u.a. deutschen Touristen sind von Bürgermeister Hoes beleidigt worden. Vor einigen Monaten hat Hoes diese Geisteshaltung noch einmal bekräftigt und präzisiert indem er sagte: „Wallonen und Franzosen haben in Maastricht nichts zu suchen.“ Bürgermeister Hoes hat alle Nachbarn in der sog. EUREGIO auf ausländerfeindliche Art und Weise beleidigt und als Abschaum verunglimpft. Gerade von einem Mann wie Hoes, der als homosexueller Mensch jüdischen Glaubens selber zwei ehemals verfolgten Minderheiten angehört, kann man mehr Feingefühl im Umgang mit den direkten europäischen Nachbarn erwarten. Ich erwarte noch immer eine offizielle Entschuldigung von Bürgermeister Hoes bei den direkten europäischen Nachbarn, die damit gemeint waren – also bei Deutschland, Belgien und Frankreich. Ich ersuche das Auswärtige Amt und das Diplomatische Corps hier auf eine Entschuldigung hinzuwirken.

Ich halte solche Aussagen für absolut ungehörig und finde, man kann einem Bürgermeister einer Grenzstadt, die noch dazu Kulturhauptstadt eines vereinten Europas werden möchte, solche Aussagen nicht kritiklos durchgehen lassen. Ich erwarte, dass mein Staat mich vor derartigen Diffamierungen in der direkten EU-Nachbarschaft schützt und die Diskriminierung und Beleidigung von EU-Bürgern innerhalb der EU nicht kritiklos hinnimmt.