Liberale Drogenpolitik der Niederlande, verschwunden oder nie dagewesen?

10808358_299882780218429_1226815159_n
Foto: Steve Thunderhead

In den Niederlanden wurde heute das sogenannte Growshopverbot beschlossen. Man plant, Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von über 15% als harte Drogen zu behandeln und verbietet Ausländern den Zugang zu den Coffeeshops. Man könnte meinen, die einst so liberalen Niederlande ziehen in den ‘War on Drugs’. Das gut funktionierende Modell der Coffeeshops wird immer mehr torpediert und ausgehölt. Die Folge davon sind Strassenkriminalität und Overlast für die Bürger, in vielen Städten gibt es so große Probleme mit kleinen illegalen Cannabisplantagen, dass die Bürgermeister über einen Gemeindeanbau nachdenken, mit dem sie wie es scheint lieber heute als morgen beginnen wollen. Doch ungeachtet der Forderungen stemmt sich Justizminister Opstelten gegen diese Idee und will sie noch nicht einmal im Ansatz ausprobieren. Wie kann das sein? Haben wir es hier wirklich mit einem starrköpfigen alten Mann zu tun, der unbeeindruckt vom Rat vieler Experten seinen Weg geht?
Egal wie befremdlich dieses Verhalten erscheinen mag, es dürfte eine große Fehleinschätzung sein, wenn man glaubt, dass Ivo Opstelten nicht weiß was er tut. Im Gegenteil, es passt sogar gut zu seinen sonstigen Aktionen. Opstelten ist ein Mann, der den Standpunkt vertritt, dass man mit mehr Kontrolle und schärferen Gesetzen Kriminalität wirksam bekämpfen kann, koste es was es wolle, und sei es auch die Freiheit des niederländischen Bürgers.
Diese Freiheit sieht man im Ausland meistens als das, was man bei einem Besuch in Amsterdam zu sehen bekommt. Wenn der normale bürgerliche Besucher auch keinen Coffeeshop von innen sieht, so gehört doch das Photo, auf dem man vor dem Coffeeshop posiert, zum Standardbild, das fast jeder Tourist mit nach Hause nimmt.
Da dies eine der Touristenattraktionen von Amsterdam ist, ist es durchaus verständlich, dass der Bürgermeister von Amsterdam, Eberhard van der Laan (PvdA), sich vor kurzem an den Staatssekretär für Volksgesundheit Martin van Rijn gewandt hat und bekräftigt hat, dass er es für keine gute Idee hält, Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von über 15% als harte Drogen zu behandeln. Amsterdam setzt auf eine Lösung mit reguliertem Anbau und der Aufwand, der auf eine Stadt mit so vielen Coffeshops zukommt, wenn dieser Regulierung in Kraft tritt, ist enorm. Die Probleme, die bei einer 15% Beschränkung auf die Gemeinden und Kontrollbehöreden zukommen, wurden ja auch von allen Experten vorhergesagt, trotzdem bleibt Opstelten offenbar unbeeindruckt.
Es stellt sich die Frage, was er mit seiner starren Haltung erreichen will. Ihm muss auch klar gewesen sein, dass viele seiner Forderungen zu Overlast und Strassenkriminalität führen, also warum zerstört man ein halb funktionierendes System, anstatt es komplett zu machen und es komplett durchzuregulieren?
Es ist vermutlich genau dieses Bild von den Niederlanden, welches wir bei einem Amsterdam Besuch mitnehmen. Das wo man vor dem Coffeeshop steht und zeigt, dass man sich zumindest so weit getraut hat, dass man sich vor den Shop stellt und ein Foto macht. Das ist es, was Ivo Opstelten nicht will.
Denn eben nicht jeder Besucher von Amsterdam geht in einen Coffeeshop. Ich kenne Leute , die zwei Jahre in Amsterdam gelebt haben, und nie einen Coffeeshop von innen gesehen haben. Auch wenn sich jetzt viele Leser fragen, wie das sein kann, so ist es möglich.
Trotzdem ist die liberale Einstellung zu Cannabis in unserem Gedächtnis so verankert, wie Frau Antje und Wohnwagen. Und sie ist ebenso real wie diese beiden Dinge.
Die Tatsache, dass das Coffeeshopmodell existiert, kommt ja nicht daher, dass in den Niederlanden nur Kiffer leben, die den ganzen Tag gechillt durch die Gegend laufen. Es basiert auf dem Gedanken der Trennung der Märkte, und wurde in einer Zeit eingeführt, als der Kampf gegen harte Drogen wie Heroin es erforderlich machte, diese Unterscheidung zu treffen. Letzen Endes, damit man die Kapazitäten der Ordnungsbehörden effizienter einsetzen konnte.
Durch die Einführung dieses Modells verbreitete sich recht schnell das Bild von den kiffenden Niederlanden. Cheech und Chong sind nicht die einzigen, die in einem Film nach Amsterdam fahren um Cannabis zu konsumieren.
Dieses Bild der Niederlande ist es, was Politiker wie Opstelten stört. Und damit ist er nicht alleine. In vielen Punkten unterscheidet sich der durchschnittliche niederländische Bürger nicht vom deutschen; er ist ein Spießer!
Auch Jan Modaal hat, ebenso wie Otto Normalverbraucher, nicht gerne einen Coffeeshop nebenan. Sie hätten zwar auch nicht gerne eine Kneipe, Sexclub oder Diskothek, aber um die geht es hier nicht. Die in den niederländischen Gemeinden existierenden Coffeeshops versorgen bei weitem nicht die gesamte Bevölkerung. Ein Großteil muss sich auf dem illegalen Markt bedienen, weil einfach kein Shop erreichbar ist. Damit geht es so manchem Deutschen in Grenznähe besser als manchem Niederländer.
Würde man jetzt den Plan vieler Bürgermeister verfolgen, so würde das bedeuten, dass die Niederlande ihren Cannabismarkt früher oder später wirklich einmal durchregulieren müssten. Das versuchen die konservativen Kräfte mit allen Mitteln zu vermeiden. Denn solange der gegenwärtige Zustand anhält, so lange greifen auch die alten Mittel aus dem ‘War on Drugs’, die heute in angepasster Form durch die Hintertür wieder eingeführt werden.
Auf einmal werden aus harmlosen Cannabiszüchtern Mitglieder von kriminellen Organisationen die mit dem internationalen Drogenhandel in Verbindung stehen. Nun das stimmt insoweit, dass ein Teil in den Niederlanden verkauften Cannabis im Ausland angebaut wird. In der Vorstellung eines Teils der Öffentlichkeit entsteht aber so das Bild einer internationalen Drogenmafia, die jeden kleinen Grower wie einen Walter White erscheinen lässt. Bringt man dies in Verbindung mit der Tatsache, dass ein Teil der Drugrunner Marokkaner ist, so entsteht ein brisantes Gemisch, dass sich in Äußerungen wie der von Geert Wilders manifestiert, der offen fragte: “Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?“
Nun ist beileibe nicht jeder Niederländer konservativ oder sogar rechtsextrem. Was aber für die meisten zutrifft, ist die Tatsache, dass sie eigentlich mit Cannabislegalisierung oder Coffeeshops nicht viel am Hut haben. Auch in den Niederlanden wird dieses Thema wohl nie eine Wahl entscheiden. Und realistisch betrachtet funktioniert der Markt dort in vielen Teilen des Landes nicht anders als hier auch. Man kennt jemanden, der jemanden kennt…
Wie werden sich die Niederlande denn ändern, wenn Opstelten alle seine Pläne durchsetzt? Nun, auf die lange Sicht mag es sogar sein, dass er mit seiner Strategie einen gewissen Erfolg haben wird. Das grade beschlossene Growshopverbot wird durch seine willkürliche Regelung, ebenso wie die seltsamen Bibop Regeln, einen weiteren Teil der Cannabisunternehmer dazu bringen, sich geschäftlich anders zu orientieren. Der normale Grower wird sich wahrscheinlich aus dem Baumarkt, Gartencenter oder dem Internet versorgen. Kommt die 15% Regelung durch, so werden viele der Coffeeshops unter Druck geraten, weil sich zum einen ein illegaler Markt bilden wird, und zum anderen die Versorgung mit hochpotentem Cannabis über viele Privatzüchter gesichert wird, die zumindest ihren Bekanntenkreis versorgen können. Man kennt jemand, der jemand kennt…
In der Vorstellung von Opstelten begegnet man dem Rest der Kriminalität mit härteren Maßnahmen, wie erweiterten Abhörgenehmigungen, Verbot von unregistrierten Mobiltelefonen und weiteren Eingriffen die jeden Bürgerrechtler laut aufschreien lassen. Sollte er es hinbekommen, dass im Gedächtnis des niederländischen Bürgers eine solche Drogenmafia entsteht, wird man ihm aus dem Volk sogar bei diesen Maßnahmen zustimmen. Es ist eben doch überall ähnlich.
Durch die Einstufung von Cannabis mit über 15% THC als harte Droge entsteht die Frage, was dann eigentlich mit Cannabis für medizinische Anwendungen geschieht. Schließlich soll ja nicht die medizinische Anwendung verboten werden. Ein Verkauf nur über Apotheken mit Rezept oder ein ähnliches Verfahren wäre ein denkbarer Weg, der Cannabis mit anderen Medikamenten gleichstellen würde. Möglich wäre auch eine Abgabe über spezielle Abgabestellen, bei denen man sich registriert hat (Erinnert sich noch jemand an das B-Kriterium?).
Da Opstelten mit allen Kräften vermeiden will, dass die Gemeinden das Cannabis anbauen, wäre eine Regelung denkbar, bei der einige wenige Firmen Cannabis für den medizinischen Zweck anbauen. Diese werden streng kontrolliert werden und die Produkte werden unter staatlicher Aufsicht vertrieben.
Alle diese Regelungen führen auf lange Sicht zu einem Ziel, nämlich den Handel und Konsum von Cannabis aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Ähnliches wird dann auch mit dem Alkohol und dem Tabak geschehen. Denn letzten Endes ist es nicht so, als würden sich die Niederlande nicht an den Vereinigten Staaten orientieren. Nur leider an den falschen Staaten.

Steve Thunderhead