Limburg und die Ausländer

“Probleme kann man niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Die Erkenntnis, die Albert Einstein zu diesem Satz veranlasst hat, dürfte einigen niederländischen Kommunalpolitikern wohl noch bevorstehen.
Vor wenigen Tagen beschloss die Gemeinde Sittard-Geleen, ab dem 1. Juni den Zugang zu den Coffeeshops im Gemeindegebiet wieder nur auf in den Niederlanden ansässige Kunden zu beschränken, prompt kommen die ersten Reaktionen aus den anderen Coffeeshopgemeinden, die um ein Ansteigen der Overlast fürchten.

In Roermond denkt Bürgermeisterin Rianne Donders (CDA) bereits über die Zeit nach dem 1. Juni nach. Vor allem weil die Coffeeshops in Roermond durch denselben Unternehmer betrieben werden. Sie geht wohl davon aus, dass die Betreiber des Sittarder Shops die Kunden weiter nach Roermond schicken.
Roermond hatte nach den schlechten Erfahrungen mit der Einführung des I-Kriteriums eine Lösung zusammen mit den Coffeeshopbetreibern gefunden. Diese sollten mit Wachpersonal für Ruhe in der Umgebung sorgen, dafür durften die Ausländer, hier vor allem Deutsche, weiter in den Shops einkaufen. Dies wurde allerdings unter ihrem Vorgänger vereinbart, und Donders hatte nach ihrem Amtsantritt nichts besseres zu tun, als eine funktionierende Lösung wieder in Frage zu stellen. Der Grund dürfte hier die Weigerung der Shops sein, an den Rand der Stadt zu ziehen.

Skunk & Relax in Sittard
Skunk & Relax in Sittard

Nun überlegt man also, welche Auswirkungen die Entscheidung von Sittard-Geleen auf die eigene Gemeinde hat. Roermond dürfte da nicht die einzige Limburger Gemeinde sein, die sich darum Gedanken macht. Auch in den grenznahen Gemeinden Heerlen und Kerkrade wird man die Entwicklung genau beobachten.

Man kann sich an den Fingern abzählen, dass eine solche Idee wie das I-Kriterium die Probleme eher verschärfen wird, als dass es sie beseitigt. Für Sittard bedeutet das, man tauscht den Ärger über ein paar fehlende Parkplätze vor dem Bahnhof ein gegen die Probleme die man mit dem illegalen Drogenhandel bekommen wird. Diesen wird man dann wieder mit zusätzlichen Ordnungskräften bekämpfen müssen, weil die Bürger sich nun zu Recht über Drugsoverlast beschweren. Letzten Endes wird einer der findigen Lokalpolitiker auf die Idee kommen, dass man doch besser dran wäre, wenn man auf den örtlichen Coffeeshop verzichten würde, damit man nicht als Coffeeshopgemeinde bekannt ist und keine ausländischen Drogentouristen mehr anzieht. Oder man überzeugt den Coffeeshopbesitzer, dass er doch lieber in das entlegene Industriegebiet zieht, wo es niemanden mehr stört. Endlich hat man die ‘saubere’ Innenstadt erreicht.
Wem das zu weit hergeholt erscheint, der werfe einen Blick nach Maastricht, wo Onno Hoes es über Jahre geschafft hat die negativen Folgen seiner Politik zu ertragen, um seine persönlichen Überzeugungen durchzusetzen. Seine Nachfolgerin hält es offenbar für das beste, den aktuellen Status Quo nicht mehr anzutasten.

Es stellt sich hier die Frage, warum das Thema gerade in Limburg so unentspannt angegangen wird. Sind die Limburger besonders genervt von den ausländischen Drogentouristen, besonders diskriminierend oder gar ausländerfeindlich?
Die Limburger haben vor allem das Problem ihrer geographischen Lage. Dadurch, dass die Kunden direkt von Belgien und Deutschland anreisen, entsteht natürlich mehr Tourismus. Abgesehen von Maastricht und Heerlen handelt es sich bei den Coffeeshopgemeinden um kleine Orte, in denen es dann natürlich auffällt, wenn eine Unmenge fremde Autos auftauchen. Da in man in Maastricht die Auskunft erhält, man solle doch einige Orte weiterfahren, dort würde man was kaufen können, hat sich die Kundschaft natürlich mittlerweile umorientiert.
Diese Nähe zu den Nachbarländern führte zu einer nachhaltigen Prägung Limburgs. Durch den Zuzug deutscher und belgischer Staatsbürger in die Grenzregionen entstand eine Denkweise, die sich vom Rest der Niederlande abhebt. Das ist schon daran zu erkennen, dass Limburg im Gegensatz zu dem Rest der Niederlande katholisch geprägt ist. Auch der Limburger Dialekt ist anders und wird manchmal im Rest der Niederlande gar als ‘nicht richtiges Niederländisch’ verspottet (Grüß Gott, liebe Bayern…).
Vielleicht ist es das Zusammenkommen dieser Eigenschaften, die Limburg zu einer sehr konservativen Provinz machen. Schaut man auf das Ergebnis der letzten Provinzwahlen 2015, so deckt sich diese Feststellung mit den Zahlen. Die CDA als stärkste und die PVV als zweitstärkste Partei deuten darauf deutlich hin.

Drogentouristen werden in Heereln gewarnt...
Drogentouristen werden in Heerlen gewarnt…

Und gerade deswegen, kann man in Limburg mit einer solchen Idee wie dem I-Kriterium noch punkten. Limburg ist als Touristenregion sehr auf seinen Ruf bedacht, und der hat in letzter Zeit erheblich gelitten. Maastricht machte Schlagzeilen als es einen der vordersten Plätze in der Kriminalstatistik belegte, In der Grenzregion zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland produzieren die diversen Rockerbanden regelmäßig Schlagzeilen, weil Waffenlager ausgehoben werden oder mal wieder Leichen im Grenzfluss zu Belgien gefunden werden. Auch solche Geschichten, wie wilde Verfolgungsjagden mit Gebrauch von Maschinenpistolen steigern jetzt nicht unbedingt das Sicherheitsempfinden der Limburger.

Was hat das jetzt alles mit Cannabis und Drogentourismus zu tun? Schließlich kaufen wir unser Wiet ja in einem staatlich zugelassenen Laden, bringen dem Staat Steuern und haben mit Rockerbanden oder gar Killerkommandos normalerweise ja nichts zu tun. Wieso also findet man in Heerlen in einem Wohngebiet in der Nähe eines Coffeeshops ein Schild, auf dem man darauf hingewiesen wird, dass Drogentouristen der Polizei gemeldet werden?

Im angloamerikanischen Sprachraum wird dieses Phänomen seit den achtziger Jahren erforscht und dort in der Psychologie als RWA (Right-wing authoritarianism) bezeichnet. Menschen, die ein hohes Mass an Autoritätentreue aufweisen, sind für bestimmte Verhaltensweisen anfällig. Eine dieser Verhaltensweisen ist das Bilden einer Norm und die Ausgrenzung derjenigen, die ihr nicht entsprechen. Da nun mal die Mehrzahl der Niederländer mit Cannabis nichts zu tun haben, sind Drogentouristen, egal wie harmlos sie auch sind, auf der Seite des Bösen. Das stellt man auch schnell fest, wenn man sich manche Kommentare unter Zeitungsartikeln oder Videos ansieht. ‘Abschaum’ ist hier kein selten benutztes Wort.

Hinzu kommen die Äußerungen, die von Seiten der Regierung bezüglich organisierter Kriminalität abgegeben werden. Ginge es nach Ard van der Steur, so steht hinter jedem Coffeeshop eine kriminelle Organisation. Nun kann man zwar zynisch feststellen, dass da was dran ist, schließlich ‘waschen’ die Coffeeshops illegales Geld für den Staat. Aber leider sind die Folgen solcher Äußerungen auf lange Sicht viel dramatischer.

„Wenn die Menschen Situationen als wirklich definieren, sind sie in ihren Konsequenzen wirklich.

Diese von beiden Sozialpsychologen W. I. und D. S. Thomas 1928 aufgestellte Aussage beschreibt genau die Folgen. So irreal die Gefahren durch Coffeeshops auch sind, trotzdem haben sie reale Folgen, wie man immer wieder sieht. Das Verbot von Ausländern ist die erste. Als nächstes erregen die Drugrunner Unmut. Hier hat die Propaganda schon ziemlich handfeste Folgen. In der Vorstellung des konservativen niederländischen Bürgers ist der typische Drugrunner ein Marokkaner mit Kapuzenpulli. Betrachtet man sich z.B. dieses Video, das auf der niederländischen Videoplattform Dumpert hochgeladen wurde, so stellt man fest, dass die beiden jungen Männer nichts getan haben, außer seltsam zu fahren, aber trotzdem im Ton durchgehend als ‘Drugrunner’ betitelt werden. Geert Wilders Frage: ‘Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner’ wird hier wohl gehört.

Am Ende ist es nicht Ausländerfeindlichkeit, die das I-Kriterium immer wieder auf fruchtbaren Boden fallen lässt, sondern die verallgemeinernde Angst vor allem, was nicht dem eigenen Lebensmodell entspricht. Hier wird kein Unterschied gemacht zwischen dem ‘marokkanischen Drugrunner’ und dem deutschen oder belgischen Drogentouristen. Beide sind Abschaum, beide müssen verschwinden. Deswegen schreit auch niemand mehr ‘Diskriminierung’. In manchen Gegenden ist die Angst in der Nachbarschaft so groß, dass verdächtig aussehende Personen sofort auf Facebook gezeigt werden.

Es ist eine gefährliche Stimmung, die sich so entwickeln kann. Fragt sich, ob die limburgischen Kommunalpolitiker gut beraten sind, wenn sie den Unsinn mit dem I-Kriterium weiter durchsetzen. Als Strategie für ein ruhigeres Limburg mit weniger Kriminalität scheint es nicht so gut geeignet. Vielleicht hätten sie doch besser ein paar Parkplätze in Sittard gebaut.

Steve Thunderhead