Vor einigen Wochen ist es tatsächlich passiert: Kanada hat Cannabis reguliert freigegeben und ist damit das erste G7 Land, welches einen solchen Schritt wagt. Und prompt kommen die üblichen Warnungen vor dem Weltuntergang und vor allem vor der Gefahr für die Jugend. Natürlich kann man dagegen argumentieren, dass Jugendschutz auf einem illegalen Markt nicht stattfindet und sowieso erst durch eine Legalisierung oder zumindest eine regulierte Abgabe überhaupt Sinn macht und der Dealer ja nicht nach dem Ausweis fragt bla bla bla…
Alles vergebens. Drogenpolitik wird in Deutschland und auch im europäischen Ausland zu einem großen Teil von ideologischen Ansichten bestimmt und nicht von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wie sonst sind die Äußerungen einiger Politiker zu erklären, wie der von der deutschen Drogenbeauftragten Mortler, die zu der Regulierung in Kanada sagte: „Der Jugendschutz wird durch diese Freigabe massiv durchlöchert“
Das ändert glücklicherweise nichts daran, dass Wissenschaftler diesen Bereich untersuchen und auch belastbare Daten liefern können. Das macht in den Niederlanden das Trimbos Institut in Zusammenarbeit mit der Universität Utrecht. Der von ihnen herausgegebene Bericht ‚GEZONDHEID EN WELZIJN VAN JONGEREN IN NEDERLAND‘ untersucht die Situation der Minderjährigen und Heranwachsenden in den Niederlanden und beschreibt somit genau die Altersgruppe, welche von einem Jungendschutz betroffen ist. Und das auch noch in den Niederlanden, also einem Umfeld in dem der Gebrauch von Cannabis geduldet und reguliert ist. Also schauen wir doch einmal, wie sich in einem solchen Umfeld Jugendschutz bewährt.
Zunächst einmal gilt es klar zu stellen, dass Cannabis nicht freigegeben ist, sondern nur geduldet und reguliert abgegeben wird. Genaugenommen würde eine vollständige Legalisierung auch einen unbeschränkten Zugang ermöglichen. Das ist aber in keinem Land der Welt so. Überall unterliegt Cannabis Regeln für Handel und Anbau, selbst in den Ländern und Staaten in denen es gehandelt und konsumiert werden darf, gibt es Regeln die dem enge Grenzen setzen. Ebenso wie bei Alkohol und Zigaretten, die auch nur reguliert abgegeben werden dürfen, denn anders wäre Jugendschutz ja überhaupt nicht machbar. Könnte man alles einfach so am Kiosk um die Ecke kaufen, so wäre das etwas ganz anderes. Man kann es aber nicht, auch wenn Aussagen von Politikern das oft nahelegen.
Für die Niederlande bedeutet das die Abgabe in Coffeeshops mit einem entsprechenden Altersnachweis. Und hier haben wir schon einmal das erste Problem. Die Dichte der Coffeeshops ist im ganzen Land unterschiedlich. Während es in Zeeland nur eine Handvoll Shops gibt, besitzen Städte wie Amsterdam oder Rotterdam so viele Shops, dass sie für die Einwohner teilweise schon ein Problem darstellen. Das führt zu der Situation, dass eine Menge Niederländer große Strecken zurücklegen müssten, damit Sie ihr Cannabis in einer ‚legalen‘ Abgabestelle bekommen können.
Da das natürlich nicht geht, haben wir die Situation, das an den Orten, an denen keine Shops existieren, selbstverständlich auch ein Schwarzmarkt existiert. Womit wir das Problem des nicht nach dem Ausweis fragenden Dealers nicht losgeworden sind. Grundsätzlich lässt sich also feststellen, dass ein vernünftiger Jugendschutz nicht denkbar ist, wenn das Gut, vor dem die Jugend geschützt werden soll, nicht überall für die Erwachsenen erhältlich ist. Das dieses auch zu einem vernünftigen Preis sein muss, ist ein anderes Problem, lässt sich aber am Beispiel des Schwarzhandels mit billigen Zigaretten nachweisen. Aus dem Grund ist der Alkoholschwarzmarkt auch recht übersichtlich, denn trotz Steuern ist es fast überall für einen Erwachsenen möglich sich billig Alkohol zu kaufen.
Durchlöchert wird Jugendschutz durch andere Dinge, wie man am Beispiel Alkohol sehen kann, welcher auch in den Niederlanden ein größeres Problem darstellt als Cannabis. Es sind die Läden, die nicht nach dem Ausweis fragen, die älteren Freunde, die bereits über 18 sind oder auch die unachtsamen Eltern, die nicht merken wenn man sich was von deren Vorrat abfüllt. Letzten Endes kennen die meisten solche Tricks wohl auch aus eigener Betroffenheit.
Hier kommt die zweite Erkenntnis zum Thema Jugendschutz: er hat Grenzen. Grenzen die dadurch gegeben sind, dass Jugendliche versuchen werden ihn auszuhebeln und einige Erwachsene sich einen Dreck darum kümmern. Wer glaubt, das Jugendliche sich an Regeln halten, hat entweder keine Kinder oder hat eine Jugend wie Philipp Amthor hinter sich.
Dieser Tatsache stimmen die Wissenschaftler in ihrem Bericht zu. Jugendliche in den Niederlanden trinken, rauchen und kiffen und sie sehen es nicht unbedingt negativ. Einer der Haupgründe ist demnach, dass man sich erwachsener fühlt. Im sozialen Umfeld sind die Jugendlichen am besten angesehen, wenn sie eine lockere Haltung zum Gebrauch von Rauschmitteln haben. Diejenigen die dieses komplett ablehnen sind ebenso wie diejenigen die einen übermäßigen Gebrauch pflegen nicht gut angesehen. Das ist nicht auf bestimmt Mittel beschränkt, sondern gilt für alle gebräuchlichen Rauschmittel, zu denen in dieser Altersklasse Alkohol, Nikotin, Cannabis und Lachgas gehören. Die Jugendlichen sind sich der Risiken für ihre Gesundheit dabei durchaus bewusst. Es ist also nicht so, als würden sie vollkommen naiv da rangehen. Es gibt genug Aufklärungskampagnen in den Niederlanden, so dass die meisten Jugendlichen informiert sind. Deswegen ist das extreme Gebrauchen solcher Substanzen wohl auch etwas aus der Mode gekommen. Wobei Alkohol hier auch wieder ein viel größeres Problem darstellt als Cannabis. So tranken 2003 noch 70% in der Alterklasse um 13 Jahre während dieser Wert mittlerweile auf 17% gesunken ist. Letzten Endes auch eher durch Aufklärung als durch die Schließung eines Supermarktes für einen Monat, weil Alkohol an Jugendliche verkauft wurde (Ja, auch dieses gibt es. Das gilt nicht nur für Coffeeshops.)
Aufgrund dieser Erkenntnis zielen Kampagnen in den Niederlanden vermehrt auf eine Verschiebung der Norm. Das heißt, man versucht zu erreichen, dass die Jugendlichen auch den moderaten Konsum von Rauschdrogen nicht als eine normale Sache ansehen. So zielen Kampagnen wie NIX18 darauf ab, den Gebrauch von Alkohol und Nikotin unter den Jugendlichen aus der ‚coolen‘ Ecke zu holen.
Zusätzlich sollen Maßnahmen, die dazu dienen, den Konsum unattraktiv zu machen, den Gebrauch weiter einschränken. Dazu dienen rauchfreie Schulen, Alkoholverbote, und leider auch das so unbeliebte Abstandskriterium, welches ein großes Problem für viele Coffeeshops darstellt.
Aktuell ist es so, dass im Alter von 16 Jahren ein große Mehrheit der Jugendlichen Alkohol schon mal Alkohol getrunken hat. Ein Viertel der Jugendlichen hat in diesem Alter bereits Cannabis probiert.
Cannabis spielt unter den niederländischen Jugendlichen erst mit zunehmendem Alter eine Rolle. So gibt es nahezu keinerlei Cannabisgebrauch in der Alterklasse der 12jährigen, im Gegensatz zu Alkohol. Bis zum Alter von 16 steigt dieser Wert dann wie gesagt auf ein ca. 25% an. Die Menge der Jugendlichen, die angab im letztem Monat Cannabis gebraucht zu haben, steigt in diesem Zeitraum von 0% auf ca. 12% an.
Ein größeres Problem in diesem Zeitabschnitt stellt der Gebrauch von Lachgas dar. Aufgrund der leichten Verfügbarkeit ist die Menge der Jugendlichen welche Lachgas konsumieren teilweise viel höher als derjenigen die Cannabis konsumieren. Bei den 13jährigen geben fünf mal mehr Jugendliche an, bereits Lachgas konsumiert zu haben als Cannabis.
Auch in den Niederlanden ist es so, dass der Konsum von Rauschmitteln etwas mit sozialer Stellung in der Gesellschaft zu tun hat. So gibt es in Familien mit einem problematischen Hintergrund mehr Konsum unter Jugendlichen als bei den Heranwachsenden, welche nicht mit familiären Problemen zu kämpfen haben.
Die Niederlande werden oft angeführt wenn es um die Auswirkungen einer Cannabisregulierung auf die Jugend geht. Vielleicht wird das in nächster Zeit von Verweisen auf Kanada oder die Bundestaaten der USA in denen Cannabis reguliert freigegeben wurde, abgelöst. Bisher war es jedoch so, dass die Niederlande immer sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern als Beispiel für entweder funktionierenden oder misslungenen Schutz der Jugend angeführt wurden. Beide Seiten werden allerdings dem Problem nicht gerecht. Die eine Seite sieht die Abgabe in Coffeeshops als Lücke über die sich die Jugendlichen versorgen während die andere es als eine gelungene Maßnahme sieht um die Jugend vor Drogen zu schützen. Beide Seiten vergessen jedoch die Auswirkungen in der realen Welt, wie halt nicht flächendeckende Versorgung oder eben auch Dinge wie zu hohe Preise, mangelnde Sortenvielfalt und andere Dinge, die einem Cannabiskonsumenten sofort als Schwarzmarktbeschleuniger auffallen. Aber wissenschaftliche Untersuchungen heranziehen und Folgenabschätzung sind wohl Dinge, die oft nicht unbedingt die Stärke von Politikern sind.
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