Gastbeitrag: Man wird doch mal fragen dürfen…

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Endlich mal wieder ein Gastbeitrag! Und dann auch noch von der Speerspitze der deutschen Legalisierungsbewegung: Steffen Geyer himself!
Vielen Dank dafür!

Mit wachsender Begeisterung verfolge ich die Bemühungen des kaum ein Jahr alten Blogs “KeinWietpas.de”. Gelegentlich lasse ich mich sogar zu einem Kommentar hinreißen.

Besonders freut mich, dass KeinWietpas im Laufe der Zeit stetig “politischer” wurde. Mehr noch – Der Weg vom “Einzelkämpfer, der über für Touristen geschlossene Shops informiert” zum “Autorenkollektiv, das demokratische Basisarbeit propagiert und sich selbstverständlich in erste Demoreihen und an Mikrofone wagt” wird von den KeinWietpas-Jungs mit einer Selbstverständlichkeit und Freude am Ausprobieren gegangen, die mich “alten Hasen” regelmäßig an die späten Neunziger Jahre erinnert.

Dieses Momentum will ich im Folgenden schamlos ausnutzen und einen Gedanken mit den KeinWietpas-Lesern diskutieren, der bisher nur hinter verschlossenen Türen ausgesprochen wurde.

Anlass für meine Frage(n) sind die auch hier überraschend einseitig geäußerte Empörung über Pläne der niederländischen Regierung, Cannabisprodukte ab einem THC-Gehalt von 15 Prozent als “Harte Droge” zu klassifizieren. Diese dürften dann nicht mehr über Coffeeshops vertrieben werden. Völlig berechtigt befürchten Konsumenten und Shopbesitzer einhellig, dass dieser Schritt de Facto das Ende der Tolerierungspolitik wäre. Den drogenpolitisch als liberal geltenden Niederlanden drohen Schwarzmarktverhältnisse wie wir sie aus Deutschland kennen.

Aber – jetzt mal ganz ketzerisch gefragt – wäre das wirklich so schlecht?

Ja, Wietpas, I-Kriterium und die angedachte Hard-Drug-Regel sind eine akute Verschlechterung der Situation. Sie schaden Shopbesitzern, “Drogentouristen” und der niederländischen Gesellschaft auf vielfältige Weise – Zumindest kurzfristig. Die Legalisierung von Cannabis als Rohstoff, Medizin und Genussmittel ist aber kein Sprint sondern ein Marathon und auf lange Sicht, komme ich zu einem anderen Urteil.

Die konservativen Bemühungen um eine restriktivere Cannabispolitik werden dank ihrer selbst für Nichtkonsumenten sichtbaren Auswirkungen meiner Meinung nach mehr gesellschaftlichen Druck in Richtung “Legalisierung” erzeugen, als wir Aktivisten je aus eigener Kraft erhoffen dürfen.
Kein Flyer, keine Webseite mobilisiert und emotionalisiert Normalbürger besser für ein Ende der Prohibition als unerwünschte Anquatschversuche schmuddeliger Straßendealer.
Als Bonus werden unzählige Cannabisfreunde beiderseits der niederländischen Grenze mit wachsender Geschwindigkeit aus ihrer Wohlfühlzone geschubst. KeinWietpas.de ist der wohl schönste Beweis, dass zumindest ein Teil dieser Menschen dabei so wütend wird, dass das private Moralbarometer von “Kopf unten halten” auf “sich wehren” umschlägt.

Bleibt lediglich die Frage, in welche Richtung man die neugewonnene Kraft lenken sollte. Quo bono (wem nützt es)? – Dieser Gedanke scheint mir hier jedoch bisweilen zu kurz zu kommen.

Wofür kämpfen “wir” eigentlich? Was will die KeinWietpas-Leserschaft? Was die Autoren?

Ich für meinen Teil habe mich vor einem guten Dutzend Jahren dazu entschlossen, meine Kraft in den Dienst der Legalisierungsbewegung zu stellen. Darin steckt nicht ohne Grund das Wort “Legalisierung”. Ich will (und mit diesem Wunsch bin ich unter den Lesern sicher nicht allein) einen legalen Cannabismarkt in Deutschland, dessen Grundgedanken Jugendschutz, Qualitätskontrolle und Missbrauchsprävention sind. Für niederländische Coffeeshops wäre dies ein noch viel sichereres Todesurteil als jeder 15%-WTF!

Umgekehrt gefragt – Hat die (weitgehend gesicherte) Existenz niederländischer Coffeeshops die “roten Linien” deutscher Drogenpolitik in den letzten 30 Jahre messbar in Richtung Legalisierung verschoben? Was nützt es “uns”, wenn Shopbesitzer ihr Geld ungestört verdienen dürfen?

Noch bin ich mir nicht sicher, aber wenn ich mich heute entscheiden müsste… Ich glaube, meine Kraft ist wirksamer, wenn sie in die Etablierung eines weißen (legalen) Cannabismarktes (gerne beiderseits der Grenze) investiert wird. Der Kampf um verschieden dunkle Grautöne eines (zumindest an der Hintertür) schwarzen (illegalen) Marktes in Amsterdam, Maastricht & Co. wird meiner Meinung nach letztlich in Berlin gewonnen werden.

Oder seh ich das falsch?