Es passiert leider drogentechnisch so wenig in den Niederlanden, dass es irgendwie keinen Spaß macht zu bloggen. Und dann gibt es was Spannendes, aber darüber zu berichten macht nun auch keinen Spaß. Aber das Rad dreht sich weiter, so oder so. Es geht um die letzte wirklich freie Weed-Bastion in Europa, die Weltkultur-Hauptstadt der Kiffer: Amsterdam. Ivo “zandbakbully” Opsteltens Geist wabert noch immer über den Bürgermeistern und jetzt liegt Amsterdam unter dem Damoklesschwert des Eingesessenenkriteriums.
Eine Kolumne von Maurice Veldman
23. August 2016
Das endgültige Urteil über den Wietpas
Der Wietpas liegt nun das letzte Mal unter dem Messer des Obersten Gerichtes. Wie wird es diesmal ausgehen?
Bis heute waren die Provinzen im Süden (unterhalb der großen Flüsse) der Dreh- und Angelpunkt, dieses mal ist Amsterdam und der Rest des Landes an der Reihe. Aber mehr zu diesem spannenden Endkampf mit einem unberechenbaren Ausgang.
Die wirren und irritierenden Äußerungen der Wortführer der Justiz pro Eingesessenenkriterium haben zu viel Verwirrung geführt. Nachdem der Anti-Cannabiskreuzritter Ivo Opstelten im Jahr 2012 dieses neue Kaninchen aus dem Hut zauberte, beeilten sich Anwälte darzulegen, dass es sich bei diesem Vorhaben um eine rechtliche Monstrosität handelt, die sich im Widerspruch sowohl mit dem Grundrecht des Diskriminierungsverbotes, als auch gegen europäische Verträge über die Freiheit von Personen befindet. Es folgten eine Menge Prozesse und es wurden serienweise internationale Verträge ausgegraben. Aber in den höchsten Instanzen kassierten die Cannabiseinzelhändler und Konsumenten überwiegend Niederlagen. Die Schlinge zog sich weiter zu.
Die Schlinge
Anfang dieses Monats empfahl der Generalanwalt des Obersten Gerichts, das Eingesessenenkriterium in den ganzen Niederlanden einzuführen. Bedeutet dies, dass der Bürgermeister von Amsterdam sehr bald Millionen von Touristen den Straßendealern in die Arme treiben muss? Und was ist mit den Orten die keinen Drogentourismus haben? Wird dem einmal im Jahr kommenden deutschem Segler dann auch sein Baggie Weed verweigert? Die Bürgermeister rufen im Chor, dass das nicht passieren wird. Die meisten Bürgermeister putzen sich die Schuhe mit dem Bescheid, aber wie lange wird das noch gehen?
Diskriminierend
Die Tatsache, dass das Eingesessenenkriterium freilich nirgendwo wirklich angewendet wird, dient den Richtern in unserem Land (Niederlande) ja als nahezu paradoxe Begründung und Rechtfertigung. Da diese Regel auf lokaler Ebene eben nicht angewandt werden muss, kann es ja wohl keine Diskriminierung sein oder hebelt eine Diskriminierung aus, so lautet die doch wackelige Begründung. Die Regel an sich ist diskriminierend, aber es ist ja niemand verpflichtet, sie anzuwenden. Auf diese Weise werden die scharfen Kanten der Regelung wegbegründet. Das Disproportionale ist weggewischt. Das ist der Notausgang, den die Richter diesem unrechtmäßigem Charakter des Eingesessenenkriteriums geöffnet haben.
Lokale Regelungen
Auch der Generalanwalt beruft sich auf die Verweigerungstaktik der Bürgermeister, diesen ministeriellen Bannfluch für Touristen umzusetzen und legt dar, dass die Suppe ja nicht so heiß gegessen wird, wie sie gekocht wird. “Lokale Regelungen sind machbar” lautet sein Mantra. Aber diese Regel ist doch dazu da, um eben in den ganzen Niederlanden nicht Ortsansässigen den Zutritt zu den Coffeshops zu verwehren. So zumindest steht es im Gesetzestext und so ist es auch von der Justiz beschlossen worden. Der damalige Minister Opstelten vertrat schon bei der Einführung des Eingesessenenkriteriums die Ansicht, dass dieses für die gesamten Niederlande gelten soll, musste aber Stück für Stück zurückrudern, wie aus Protokollen des Parlaments hervorgeht.
Um korrekt zu sein, Opstelten legte der Kammer im April 2014 unwillig seine Ansicht dar. “Was interessieren mich die Bürgermeister, nur das Openbaar Ministerie interessiert mich. Als er gefragt wurde, was er denn mit den Gemeinden machen würde, die diese Regel nicht in Kraft setzen, weil sie eben keine Last mit Drogentouristen haben, antwortete Opstelten: “Es ist eine Frage der Überzeugung und der eigenen Autonomie, um Ja oder Nein dazu zu sagen.” Um dieser Verwirrung ein Ende zu machen twitterte das ehemalige Kammermitglied van der Steur (der spätere Nachfolger Opsteltens im Justizministerium) als Reaktion auf einen Tweet des VOC Nederland: “Unter unserer Führung handhaben 85% der Coffeeshopgemeinden das I- Kriterium nicht”. Seiner Ansicht nach liegt es zuerst in der Hand der Gemeinden, das I-Kriterium anzuwenden oder nicht.
Nur heiße Luft
Jahrelange Debatten und Prozesse haben die Regelung zu einem sinnlosen, symbolischen Justizrülpser degradiert, die in der Praxis fast niemals zum Fernhalten von nicht Eingesessenen geführt hat. Die Verhältnismäßigkeit scheint dadurch gewährleistet, dass diese Regel in die lokalen Duldungsbeschlüsse übernommen wurde und dort die Bürgermeister das Sagen haben. Diese Regel wird ausschließlich dann angewandt, wenn die Situation in der Gemeinde definitiv aus dem Ruder gelaufen ist. Die Praxis zeigt auf, dass das fast nirgendwo geschieht.
Kampf gegen die großen Coffeeshops
Der zweite Punkt betrifft die Frage, ob diese Regelung nur dem Zweck dient, Drogentourismus und die damit einhergehenden Overlast zu verhindern oder ob diese auch weitergehend greifen könnte und Kriminalitätsbekämpfung auch zulässig wäre. Letzteres sieht auch der Generalanwalt so.
Overlast ist nicht erforderlich
Der Staat führte an, dass Coffeeshops zu Megasellern geworden sind, die eine noch immer verbotene Droge verkaufen. Dagegen muss energisch vorgegangen werden, auch wenn keine Rede von Overlast ist. Ob das Oberste Gericht das auch so sieht, werden wir bald wissen. Also lautet die zentrale Frage, ob die Verhältnismäßigkeit dem I-Criterium im Weg steht, falls keine Overlast oder Drogentourismus existiert. Der Generalanwalt vertritt die Meinung, dass das I-Criterium nicht nur dazu dient der Overlast vorzubeugen, sondern durchaus auch dazu, Coffeeshops zu kontrollieren um somit präventiv organisierte Kriminalität zu verhindern. Der Gedanke dabei ist, dass die Shops wegen der anziehenden Wirkung auf Touristen viel zu groß geworden seien. Zum Bekämpfen von drogenbezogener Kriminalität haben sich die Niederlande auch in verschiedenen internationalen Verträgen verpflichtet. Danach muss der Handel mit Betäubungsmitteln in der Tat bekämpft werden. Die Vermutung, dass sich Kriminalität und Shops vermischen, stützt sich auf einige Behauptungen des Anti-Cannabis Predigers Prof. C. Fijnaut. Dass es keinerlei Untersuchungen gibt, die die Wahrheit dieser Behauptungen stützen, wird bequemerweise verschwiegen. Es ist eben eine Sache des Glaubens, ohne Basis, die niederländische Variante des amerikanischen Konzepts von “fact free politics” der Ära George W. Bush.
Weniger Coffeeshops, größere Coffeeshops
Die Coffeeshops in Amsterdam platzen aus allen Nähten seitdem in der Innenstadt mehrere Dutzend geschlossen wurden. Dadurch hat die Nachfrage nach Cannabis ja nicht abgenommen. Umsatzsteigerungen von mehreren hundert Prozent sind das Resultat. Das liegt aber nicht an der zunehmenden Zahl von Touristen, sondern ist bedingt durch die vielen Schließungen. Durch die Schließungen bekommt die Justiz ein neues Argument auf dem silbernen Tablett serviert, um damit dem I-Criterium neues Leben einzuhauchen.
Es hat sich gezeigt, dass das I-Criterium nur bei aktiver Handhabung zu einer Abnahme ausländischer Drogentouristen führt, so ist es im jährlichen Bericht des Intraval Büros zu lesen. Das ist Stand von 2015. In Gemeinden, die das I-Criterium nicht mehr handhaben, führt das nicht zu nennenswerten Problemen. Im Gegenteil, sobald Touristen wieder die Shops besuchen dürfen, nimmt der illegale Straßenhandel sichtbar ab. Auch die Zahl der öffentlichen Ruhestörungen ging zurück. Auch in Gemeinden, die durch die Anwendung des I-Criteriums in Nachbargemeinden mehr Touristen zu verzeichnen hatten, führte dies nicht zu Overlast.
Das Schlußwort vom BCD
Der Verband der Cannabiseinzelhändler wird ein weiteres mal an der Verhandlung teilnehmen und alles daran setzen, den Hohen Rat davon zu überzeugen, dass das I-Criterium wirkungslos und kontraproduktiv ist und darüber hinaus für mehr Probleme sorgt, als es beseitigt.
Amsterdam 23. August 2016
Übersetzung ins Deutsche von Streuner.
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