Den Haag – Heute hat die zwei Jahre dauernde Prozess-Odyssee um das Easy Going in Maastricht und den Coffeeshop Toermalijn in Tilburg vor dem Raad van State, der letzten Verwaltungsinstanz in den Niederlanden, ein bitteres Ende gefunden. Die obersten Richter der Niederlande urteilten ganz ähnlich wie schon der Europäische Gerichtshof im Dezember 2010 beim ersten Prozess, den Marc Josemans schon im Vorfeld des Wietpas angestrengt hatte. Das Einwohnerkriterium sei ein geeignetes Mittel um den Drogentourismus und die organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Damit fegten die Richter in Den Haag auch das erste Urteil aus Maastricht vom Tisch, das der Auslöser für den zivilen Ungehorsam der Maastrichter VOCM-Shops im Mai letzten Jahres war.
Hatte das Gericht in Maastricht noch gefordert, dass bevor eine so stark in die Freiheiten der Menschen eingreifende Regel wie der Wietpas durchgesetzt wird, erst weniger einschneidende Maßnahmen ausprobiert werden müssten, erklärte der Raad van State dieses Urteil heute Mittag für ungültig. Bürgermeister Hoes darf das I-Kriterium anwenden. Es diene dem berechtigten Ziel den Drogentourismus und die organisierte Kriminalität zurückzudrängen und es gäbe keine weniger eingreifenden Möglichkeiten. Damit ist nun ein Präzedenzfall in den Niederlanden geschaffen worden, der das Einwohnerkriterium endgültig für juristisch legitim erklärt.
Coffeeshopbetreiber und VOCM-Vorsitzender (Vereinigung der offiziellen Coffeeshops Maastricht) Marc Josemans hatte sich nach der Einführung des Wietpas am 1. Mai 2012 geweigert, dass Einwohnerkriterium, das den Verkauf an Nicht-Einwohner der Niederlande untersagt, einzuhalten. Daraufhin wurde sein Shop durch die Gemeinde geschlossen und Josemans legte am 11. Mai Beschwerde gegen die Schließung ein, die am 16. Juli 2012 von Bürgermeister Hoes als unbegründet zurückgewiesen wurde. Josemans zog im Namen des VOCM vor Gericht in Maastricht und dieses erklärte die Schließung am 25. April 2013 für unbegründet. Aufgrund dieses Urteils öffneten ab dem 5. Mai 2013 die Maastrichter VOCM-Coffeeshops ihre Türen wieder für Ausländer. Allerdings fanden in den Tagen und Wochen darauf in allen Shops Razzien statt und es wurden wieder zeitlich befristete Schließungen verhängt. Zugleich hatte Hoes gegen das Maastrichter Urteil vom 25. April 2013 Berufung eingelegt.
Die Verwaltungsgerichtskammer des Raad van State befasste sich seit dem 14. November 2013 mit der Sache und schloß die Untersuchung im Januar dieses Jahres ab. Heute dann also das Urteil, dass sich unter anderem auch auf das UN-Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel in einer Fassung von 1972 stützt. Es wird, neben vielen anderen Artikeln dieses Vetragswerks, zuerst Artikel 4 erwähnt, der in Absatz b eine Zusammenarbeit mit anderen Staaten vorschreibt, um illegale Drogen zu bekämpfen.
“Bitter und unbefriedigend” nennt Marc Josemans das heutige Urteil auf “nu.nl“. Laut Josemans ist eine Mehrheit im Maastrichter Stadtrat gegen das Einwohnerkriterium und in Kürze steht das Thema im Maastrichter Stadtrat wieder auf der Tagesordnung.
Ebenfalls am heutigen Mittwoch erging mit haargenau den selben Begründungen ein letztinstanzliches Urteil im Prozess um den Coffeeshop Toermalijn in Tilburg. Auch Willem Vugs, Sprecher der Tilburger Coffeeshop-Vereinigung “De Achterdeur” zeigte sich enttäuscht und hofft, dass die Gemeinde doch noch zu der Einsicht kommt, dass die heutigen Regeln gar nichts lösen würden und nur zu einer Stärkung der organisierten Kriminalität beitrügen.
Kommentar
Das war ein Paukenschlag, der leider absehbar war. Ich betätige mich ungern als Cassandra – und noch weniger gern behalte ich mit schlechten Prognosen recht, denn im Grunde bin ich ein Optimist. Aber schon in unserem Interview mit BongTV im letzten Monat habe ich ja angedeutet, dass ich nicht mehr an den juristischen Weg glaube.
Zu schlecht waren die Vorzeichen. Ein Kardinalfehler dürfte wohl der voreilige Gang vor den EuGH im Jahr 2010 gewesen sein. Marc Josemans und sein Anwalt André Beckers waren so überzeugt von ihrer Rechtsauffassung, dass die Diskriminierung von Menschen, insbesondere von EU-Bürgern innerhalb der EU ein so viel höherwertiges Rechtsgut darstellen als die Pläne der, damals noch, VVD/PVV-Koalition, dass der EuGH diese kippen würde. Das Bürgerrechte scheinbar zweitrangig sind sobald es um Drogenkonsumenten geht, hatten sie nicht auf dem Schirm. Zwar stellte der EuGH fest, dass es sich beim sogenannten “I-Kriterium” um Diskriminierung handelt und auch das von dieser Regel zum großen Teil Ausländer betroffen sind, da in den Niederlanden ja hauptsächlich Niederländer wohnen und man daher durchaus praktisch von einer Diskriminierung nach Nationalität sprechen könne. Trotzdem wurde die Bekämpfung des sogenannten “Drogentourismus” höher gewichtet. Wichtig war dabei, dass der Wietpas als aussichtsreiches Mittel betrachtet wurde um dieses Ziel zu erreichen.
Der erstinstanzliche Richter in Maastricht hat sich ja sehr viel Zeit für seinen Urteilsspruch gelassen und dann weise geurteilt. Er forderte zunächst weniger einschneidende Maßnahmen. Das es diese gibt und das sie funktionieren sieht man beispielsweise in Haarlem, wo die Coffeeshops ein gutes Verhältnis zur Gemeinde haben und man zusammen arbeitet um eine mögliche Overlast so gering wie möglich zu halten.
Die Verurteilungen von Coffeeshopbetreibern und Personal in den Prozessen nach den Razzien im Mai 2013 sprachen allerdings schon eine ganz andere Sprache. Mit den heutigen Urteilen des Raad van State dürfte das Kapitel des juristischen Vorgehens gegen die “Diskriminierungsverordnung” weitgehend abgeschlossen sein. Es war der letzte, juristische, Strohhalm.
Das ein Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nichts bringt, hat sich ja bereits im Januar dieses Jahres herausgestellt, als der EGMR ein ebenfalls spektakuläres Urteil verkündete. Spätestens dieses Urteil machte klar, dass es keine juristische Lösung geben wird. Auffällig ist auch: Je höher die Instanzen, desto weltfremder die Urteile. Das mag daran liegen, dass natürlich auch Politik da mit hineinspielt.
Der Kampf um die Coffeeshops ist ein politischer Kampf und der wird nicht im Gerichtssaal geführt, sondern an der Wahlurne, im Parlament, in den Stadträten und auf der Straße. Die niederländische Legalisierungsbewegung muss Fahrt aufnehmen und einzelne, mutige Bürgermeister unterstützen, die sich, wie Paul Depla in Heerlen, gegen die Linie stellen, die aus Den Haag vorgegeben wird. Mehr Coffeeshopbetreiber müssen sich politisch engagieren – das Geld und die Zeit dazu hätten sie. Die Kommunalwahl in Maastricht hat gezeigt, dass die Menschen dort von der Politik von Onno Hoes die Nase voll haben. Leider ist er noch bis 2016 im Amt und egal wie offensichtlich die Sicherheit in der Stadt zusammen mit den Umsätzen des Handels den Bach runtergeht, verkündet Hoes unbeirrt den Erfolg seiner Zero-Tolerance-Haltung. Eine Mehrheit im Stadtrat gegen das Einwohnerkriterium und die Cannabispolitik der VVD gab es auch schon vor der letzten Wahl. Bisher konnten sie Hoes nicht zum Einlenken bewegen.
Nur wenn der Stadtrat in Maastricht durch z.B. wöchentlich stattfindende Demos in seinem Druck auf Hoes gestützt würde, sähe ich Hoffnung in absehbarer Zeit. Weiter entfernt von der Realität kann man jedoch gar nicht sein. Auf der letzten Demo in Maastricht waren ca. 50 Leute und diese ist nun auch schon über ein Jahr her.
Der Druck durch Kriminelle auf den Straßen scheint weder Bürgermeister Hoes, noch die hohen Herren der VVD in Den Haag und auch nicht die obersten Verwaltungsrichter zu stören. Leidtragende sind die Bürger, die in den Städten mit I-Kriterium leben, die dortigen Geschäftsleute (nicht nur die Coffeeshopbetreiber) und last but not least friedliche Touristen, die einfach nur gern in Ruhe einen Joint rauchen würden.
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